Ende Juli erschien ein Artikel über unsere Firma und unsere Geschäftsideen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In dem Artikel wird auf den Stand der Gentechnik und die dazugehörige Gesetzgebung eingegangen. Hier folgt der Originaktext:
Quelle:
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.07.2023, Wirtschaft, Seite 24
Bildrechte BioRiver / Fotograf Bernd Lauter
Peter Welters will Gentechnik für die Landwirtschaft erschwinglich machen. Seit 25 Jahren verhindern das Gesetze. Kommt jetzt seine große Chance?
Von Sebastian Balzter
Manche Firmengründer haben eine kühne Idee, sind damit genau zur rechten Zeit zur Stelle und werden dafür gefeiert wie Helden. Das Unternehmertum von Peter Welters ist anderer Art. Es hat viel mit Ausdauer und Ausweichen zu tun, mit Umwegen und Notlösungen. Ob er wie ein Held wirkt oder wie ein Ritter von der traurigen Gestalt, kommt auf die Perspektive an.
Peter Welters, 64 Jahre alt, Bäckerssohn und promovierter Molekularbiologe, ist der Mann mit der Gen-Schere. In den Laboren seiner Firma Phytowelt Green Technologies am Rand von Köln könnten Pflanzen entstehen, die mehr Ertrag bringen, robuster gegen Krankheiten sind und die Hitze besser vertragen als das Getreide, das Obst und das Gemüse, das zurzeit auf den Feldern wächst.
Wenn es in Europa denn möglich wäre, solche neuen Sorten anzubauen, zu ernten und zu verkaufen.
Genau dafür hat Peter Welters sein Unternehmen vor einem Vierteljahrhundert gegründet. Vielleicht nicht mit einer genialen, aber doch mit einer so guten Idee, dass er bei einem Gründerwettbewerb einen Preis für seinen Businessplan bekam. Das Preisgeld war sein Startkapital. Nur leider zeigte sich danach sehr bald, dass er damit zur falschen Zeit am falschen Ort war.
Das war 1998. Im Juni hatte Welters Phytowelt gegründet. Im September wurden in der Europäischen Union alle Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen auf Eis gelegt.
Zuerst war dabei nur von einem Moratorium für neue Versuche die Rede. Aber in der Öffentlichkeit geriet die Gentechnik in Europa so sehr unter Beschuss, dass kleine Hersteller lieber ganz die Finger davon ließen und große ihre Forschung nach Amerika verlegten. In Deutschland verwüsteten wütende Gentechnik-Gegner die Versuchsparzellen. Die Dauerproteste gegen die „Gen-Kartoffel“ Amflora von BASF sind vielen noch heute in Erinnerung. Logisch ging es dabei nicht zu. Kaum jemand störte sich daran, dass beispielsweise neue Krebsmedikamente mit genetisch veränderten Bakterien hergestellt wurden; in der Landwirtschaft dagegen sollte die neue Technik auf dem alten Kontinent außen vor bleiben. Die 2003 beschlossene europäische Gentechnikverordnung schuf die juristische Grundlage dafür.
Heute werden rund um den Globus auf einer Fläche, die fünfmal so groß ist wie Deutschland, genveränderte Pflanzen angebaut, vor allem Sojabohnen und Mais. Aber nicht in Europa. Die Auflagen dafür sind hier so gewaltig, dass niemand damit anfangen wollte.
Nun stellt sich die Frage, ob 2023 eines Tages auch für dieses Thema als ein Jahr der Wende bezeichnet werden wird. Als das Jahr, in dem die grüne Gentechnik in Europa doch noch eine Chance bekam. Diesen Sommer hat die EU-Kommission die Tür, die sie Peter Welters damals vor der Nase zugeknallt hat, einen Spalt weit aufgemacht. Demnächst sollen die Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie dem Vorschlag der Kommission folgen, eine bestimmte Form der Gentechnik ohne die bisher geltenden Hürden als eine reguläre neue Form der Pflanzenzüchtung zuzulassen.
Wenn es so kommt, dann werden die Wissenschaftler von Phytowelt in ihren Laboren viel zu tun haben. Und Peter Welters wird sich ein bisschen heldenhafter fühlen dürfen, als er es in den vergangenen 25 Jahren gewohnt war.
Dann wird er nämlich den Beweis dafür erbringen können, dass die grüne Gentechnik entgegen einer landläufigen Meinung nicht nur etwas für Großkonzerne mit Milliardenbudgets ist. Sondern dass sie auch von Firmen wie Phytowelt genutzt werden kann, die wenig Kapital, aber viel Erfahrung und Einfallsreichtum haben. Die Idee, kleinere Firmen hätten bessere Chancen, solange die Technik in Europa nicht genutzt werde, verweist Welters ins Reich der Legende: „Das Gegenteil ist der Fall. Die Großen können ins Ausland ausweichen, wir nicht.“
Es geht dabei vor allem um eine Methode namens CRISPR-Cas, deren Erfinderinnen vor zwei Jahren dafür den Chemie-Nobelpreis bekommen haben. Sie haben herausgefunden, wie sich mit bestimmten Enzymen zielgerichtet Bestandteile des Erbguts aus einer Zelle entfernen lassen. Der durchtrennte DNA-Strang wächst nach dem Schnitt wieder zusammen, entweder mit oder ohne Einbau eines Stücks fremden Erbguts. Forschungsprojekte gibt es zuhauf, zur Vermarktung zugelassen sind auf der weiten Welt erst drei CRISPR-Cas-Pflanzen: eine Tomatensorte in Japan sowie eine Salat- und eine Sojasorte in den Vereinigten Staaten. Für die Variante ohne fremde DNA könnte die EU demnächst ihre Regeln lockern. Auf diese Weise können nämlich ausschließlich solche Mutationen erfolgen, die auch durch Zufall in der Natur oder durch den seit jeher in der Züchtung erlaubten Einsatz von Chemikalien und Radioaktivität entstehen können. Es lässt sich später nicht mehr unterscheiden, ob die Veränderungen im Labor bewirkt wurden oder anders zustande kamen. Davon sind also weder Killer-Tomaten noch Wunder-Weizen zu erwarten. Aber die Züchtung könnte schneller und mit weniger Fehlversuchen vorankommen als bisher.
Für diese Technik hat sich der Begriff „Gen-Schere“ eingebürgert. Agrarkonzerne wie Syngenta und Bayer arbeiten damit in ihren eigenen Laboren und mit ihren eigenen Mitarbeitern.
Kleinere Saatgutfirmen ohne diese Möglichkeiten, etwa das traditionsreiche Familienunternehmen von Stefan Streng aus dem Fränkischen, müssen darauf aber nicht zwangsläufig verzichten. Sie können Anbieter wie Phytowelt als Dienstleister beauftragen. Was es kostet, etwa eine Weizenpflanze so verändern zu lassen, dass sie besser mit Pilzerkrankungen zurechtkommt? Den genauen Preis will keiner öffentlich nennen. Etwa 20.000 bis 30.000 Euro je Schnitt mit der Gen-Schere und anschließender Anzucht der veränderten Pflanze dürften aber realistisch sein. Der Betrag ist jedenfalls überschaubar genug, dass Züchter wie Streng sogar von einer „demokratischen Methode“ sprechen.
Die Werkzeuge, die dafür gebraucht werden, führt Peter Welters seinen Besuchern in dem gelb verklinkerten Flachdachbungalow vor, in dem die Forschungs- und Entwicklungsabteilung seiner Firma untergebracht ist. Er trägt bunte Turnschuhe, eine Trekkinghose, ein Kurzarmhemd. Mit etwas schleppendem Schritt bewegt er sich durch die Gänge; vielleicht liegt es an seiner Größe, vielleicht an der Magenverstimmung, auf die er entschuldigend hinweist.
Wer Hightech nur in funkelnden Neubauten erwartet, mit Robotern, Touchscreens und makelloser Apple-Optik, darf hier staunen. Das Gebäude, das etwas versteckt hinter Bäumen im hintersten Winkel eines Industriegebiets steht, sieht von außen und innen so unscheinbar aus, dass es knarzt. Vor der Tür blühen Hortensien. Im Labor stehen Geräte mit reichlich Gebrauchsspuren. Es gibt Zentrifugen und Mikroskope, einen Kühlschrank und eine Mikrowelle, Lupen und Wecker, Einweckgläser und Kartons voller Pipettenspitzen.
Peter Welters holt einen kleinen Glaskolben mit einer wässrig-trüben Flüssigkeit aus dem Kühlschrank. „Genau so sieht sie aus, die Gen-Schere“, sagt er.
Für die große Tat würde jetzt an einem sterilen Arbeitsplatz ein Tropfen der Enzym-Lösung auf eine sogenannte Fusionsplatte aufgetragen, eine etwa streichholzschachtelgroße Wanne aus durchsichtigem Kunststoff. Dort könnten die Enzyme auf eine Weizen-, Erdbeer- oder Kartoffelzelle treffen. „Der Schnitt wäre im Bruchteil einer Sekunde vollzogen“, verspricht Welters.
Würde, könnte, wäre: Konjunktive. Zurzeit hat Peter Welters keine Aufträge für diese Technik. 2020 hat er sie für ein Forschungsvorhaben eingesetzt, kommerzielle Interessenten gab es zuletzt 2018. Fünf Saatgutzüchter aus dem In- und Ausland, berichtet Welters, hätten damals mit ihm ins Geschäft kommen wollen. Sie rechneten damit, dass die Methode bald freigegeben würde. Sie hatten sich verrechnet. Die EU blieb bei ihrer strikten Regulierung, die Projekte wurden postwendend abgebrochen.
Peter Welters hat sich angewöhnt, lakonisch über solche Enttäuschungen zu reden. Vielleicht gab es zu viele davon. Er sagt bloß: „Schublade auf, Schublade zu.“
Deshalb befindet sich in dem Kolben jetzt in Wahrheit eben doch nicht die Gen-Schere, sondern eine andere wässrig-trübe Lösung. Welters und seine rund 30 Mitarbeiter benutzen sie für eines der vielen Ausweichgeschäfte, mit denen sich die Firma seit 1998 über Wasser hält. Ursprünglich hatten sie Freilandversuche für Saatgutzüchter organisieren wollen. Daraus wurde wegen der eingangs genannten widrigen Umstände nichts. Dann hatten sie die Gentechnik-Forschung mehrerer Wissenschaftler nutzen wollen, die als Minderheitsgesellschafter an Bord kamen. Daraus wurde auch nichts. In der harten Welt der Wirtschaft waren die famosen Ideen der Forscher wenig wert. Für diese Art von Hightech gab es in Europa keinen Markt.
„Unsere Rettung war, dass wir irgendwann alle diese Patente aufgegeben haben“, sagt Peter Welters im Rückblick. „Die kosteten uns nur viele Anwaltshonorare und brachten nichts ein.“
Das klingt wieder reichlich abgebrüht. Es muss für Welters anfangs aber eine durchaus schmerzhafte Einsicht gewesen sein. Es steckt einfach zu viel Begeisterung für die Wissenschaft drin, wenn er seine Lebensgeschichte erzählt. Schon als Schüler hat er demnach seine Leidenschaft für die Biologie entdeckt. „Ein Band aus der Reihe ‚Spektrum der Wissenschaft‘ hat mich fasziniert, das war der Einstieg“, berichtet Welters. In Aachen hat er Chemie studiert, später in Tübingen Biochemie, schließlich in Köln promoviert. Von seinem Doktorvater Jeff Schell, „dem Erfinder der Pflanzengentechnik“, schwärmt Welters heute noch.
Was für ein wirtschaftliches Potential in der Biotechnologie steckte, führte dem Nachwuchswissenschaftler dann ein mehrjähriger Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten vor Augen. Im Biotech-Gründer-Boom dort schienen die Bäume in den Himmel zu wachsen, da wurden Businesspläne am laufenden Band geschrieben. Verglichen mit den Träumen von damals, fällt die Bilanz heute bescheiden aus. „Ich hatte mir das größer vorgestellt“, räumt Welters ein. „Als Unternehmen mit 100 oder 200 Beschäftigten.“ Er wusste freilich schon von daheim, wie viel Auf und Ab ein Unternehmerleben enthalten kann. Sein Vater hatte in Mönchengladbach eine Bäckereikette aufgebaut, übernahm dann eine Gaststätte, verdiente schließlich im Automatengeschäft und in der Immobilienbranche sein Geld, immer als Selbständiger. „Wahrscheinlich hat mir sein Beispiel gezeigt, wie wichtig Flexibilität ist“, sagt Welters im Rückblick.
Zusammengefasst: Mit den Freilandversuchen ließ sich nichts verdienen, mit der grünen Gentechnik ließ sich kaum etwas verdienen. „Wir halten das Wissen und die Fähigkeiten dafür vor, ohne sie nutzen zu können“, beschreibt Welters den Status quo. Zu den Vorzeigeprodukten sind derweil Pappelsorten geworden, die besonders schnell wachsen. Und Himbeeraroma, das von Kolibakterien im Fermenter hergestellt wird.
Der Trick mit den Pappeln hat auch für die demnächst womöglich gefragte Arbeit mit der Gen-Schere Bedeutung. Welters hat sich vorerst darauf verlegt, die Pflanzenzucht so zu beschleunigen, wie es ein Schlupfloch in der Gentechnikverordnung zulässt. Unter freiem Himmel und selbst im handelsüblichen Gewächshaus ist Zucht ein langwieriger Prozess. Der Augustinermönch Gregor Mendel hat ihn im 19. Jahrhundert erstmals systematisch beschrieben. Durch Kreuzung und Rückkreuzung lassen sich erwünschte Eigenschaften verstärken und stabilisieren. Bei Pappeln dauert das noch viel länger als beim Getreide, weil ein junger Baum in freier Wildbahn viele Jahre braucht, bis er seinen ersten Pollen hervorbringt. Im Labor lassen sich die Zellen schneller reinerbig machen. Puristen werden auch das als Gentechnik verstehen, aber das EU-Recht macht dafür eine Ausnahme. Wer weiß, wie’s geht, kann die Zellen nach dieser Behandlung wieder zum Wachsen bringen. Auf ein Zwanzigstel der früher üblichen Dauer, überschlägt Welters, lässt sich ein Pappelzyklus auf diese Weise verkürzen.
„Das ist eigentlich ein Betriebsgeheimnis“, mahnt der Chef, als eine seiner Mitarbeiterinnen den Ablauf im Detail vorführen will, mit der richtig abgemischten Enzymlösung und einem Elektroimpuls. Eine Etage tiefer, im Keller des Kölner Bungalows, sorgen LED-Röhren für eine immerwährende Frühsommerbeleuchtung. Dort werden die strapazierten Zellen aufgepäppelt, mit Nährstoffen und Hormonen versorgt, auf dass sie sich teilen und wachsen. Regeneration nennen das die Fachleute. Es ist auch nach einem CRISPR-Cas-Eingriff die entscheidende Phase, beteuert Peter Welters, kniffliger als der bloße Schnitt mit der Gen-Schere.
„Da sind Erfahrungswerte und Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Welters. „Das ist kein Hokuspokus und auch keine Alchemie, sondern Wissenschaft.“ Er meint damit die grüne Gentechnik insgesamt. Seine Botschaft ist klar: Für die Welternährung, für den Kampf gegen den Klimawandel, für den Erhalt der Biodiversität und den Verzicht auf Insektengift wäre es unverantwortlich, weiterhin darauf zu verzichten. Von der in Kauf genommenen Vergeudung der Talente ganz zu schweigen. „Von den Doktoranden aus meinem Jahrgang sind 99 Prozent aus diesem Forschungsgebiet rausgegangen“, sagt Welters.
Kommt nun die Gentechnikwende? Peters Welters gibt sich skeptisch. Der Ausgang der Debatte, die sich seit dem Vorschlag der EU-Kommission entfaltet hat, sei unkalkulierbar. Es klingt wie: bloß nicht noch einmal in die gleiche Falle laufen und wieder enttäuscht werden. So ist das mit gebrannten Kindern.
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